Metamorphose (18.11.2016)

 

 

Nach all dem süßen Leben war mir mal wieder nach etwas Ernsthaftem.

 

 

 

 

Metamorphose (2016)

 

Wohin willst du denn noch? Wir sind schon viel zu weit gegangen.

Der Angesprochene nahm trotz der beischwingenden Mahnung ohne Unterbrechung unbeirrt die Sprossen der Leiter, welche aus der Schwärze, in die sie wohl an ihrem unteren, von dieser Position aus nicht sichtbaren Ende fließend übergehen musste, wie der Hauptmast eines stattlichen Segelschiffes emporragte.

Ich habe dich etwas gefragt!

Er bog und reckte den Hals so weit es ging, um nach dem Freund weit oben in luftiger Höhe zu spähen, doch war rein gar nichts mehr von ihm zu erahnen.

Lediglich der rhythmische, an den Wänden des Schachtes dumpf echoende Tritt schwerer Stiefel war hoch über ihm noch zu vernehmen.

Abrupt verhallte dieser jedoch.

Was ist?

Einen bangen Moment galt es zu überstehen, bis aus der Ferne zu seiner Erleichterung hinabschallte: „Ich muss nur kurz zu Atem kommen.

Ein wenig beruhigt stellte er nun fest, dass er bis eben noch die Luft angehalten hatte und atmete aus. Die Feuchtigkeit kondensierte zu einem kleinen Wölkchen, das sich vor seinem Gesicht alsbald wieder zu einem allumspannenden Nichts auflöste. Wie alles um ihn herum.

Komm wieder herunter! Du brichst dir noch alle Knochen im Leib,“ entgegnete er voll besorgter Ungeduld. „Du weißt, wie ungern ich diese in der Tiefe wieder zusammensuchen müssen möchte.

Von oben tönte leise und kaum hörbar ein amüsiertes Schnauben herab.

Im Ernst: Lass es bleiben und komm wieder zu mir zurück!

Langsam wurde er ungehalten und nahm zu seinem stillen Verdruss die erneut einsetzenden, sich weiter entfernenden, nunmehr jedoch schwerfälliger gewordenen Trittgeräusche auf den blanken Metallstreben wahr.

Unverbesserlich!“ brummte er. Missbilligend schüttelte er den Kopf und verschränkte die Arme wie zum Trotz vor der Brust.

Plötzlich fuhr er heftig zusammen.

Von oben war ein dumpfer Schlag zu vernehmen gewesen, gefolgt von einem spitzen Schmerzenslaut, der sich unaufhaltsam durch seine Gehörgänge fraß.

Jeden Moment erwartete er den Fall des Freundes.

Doch bis auf ein paar scharfe, zwischen den Zähnen hervorgepresste Flüche und einem prasselnden Regen aus Schmutzpartikeln stürzte ihm nichts entgegen.

Du bist verrückt!“ Seine Stimme überschlug sich. „Du und deine dämlichen Ideen. Manchmal könnte ich dir dafür…

Er hielt schweigend inne.

Nein, das würde er nicht tun. Er machte sich nicht mit jenen Menschen gemein, die er so für ihre Untaten verabscheute.

Insgeheim beneidete er seinen Freund sogar für seine furchtlose und unverbesserlich naive Art.

Jäh wurde er von einem durchdringenden, knarzend-quietschenden Geräusch- wie es wohl beim Öffnen einer Luke entspringen mag- bei seinem Gedankenspaziergang unterbrochen.

Was ist dort?

Eine Öffnung“ , kam es knapp zurück.

Und was kannst du sehen?

Nichts.

Sollten sich ihre, nein, wohl eher seine Befürchtungen tatsächlich bewahrheiten?

Wie ’nichts‘ ?

Hier ist es so hell, dass meine Augen brennen und tränen.

Für kurze Zeit herrschte absolute Stille.

Dafür spüre ich etwas!

Der Freund schien viel zu sehr von etwas gebannt zu sein, als dass er diese Feststellung von allein hätte weiter ausführen können.

Er musste ihm nachhelfen.

Was spürst du?

Tausend flügelschlagende Schmetterlinge auf meiner Haut.

[Gerührt schwieg er in der Tiefe, lächelte erleichtert und verschwand im Bodenlosen.]

 

 

 

 

Mich würde interessieren, wie ihr diese Begebenheit deutet, oder welche Bedeutung ihr für euch daraus ziehen könnt. Wer traut sich, ein paar Worte dazu zu verlieren? Ihr dürft eure Gedanken aber natürlich auch ganz für euch behalten.

 

 


40 responses to “Metamorphose (18.11.2016)

  • Es Marinsche kocht

    Da ist offensichtlich eine Wandlung mit / in jemandem geschehen….der „Kampf“ zwischen Vernunft….Neugier…..Ahnung….dem inneren „Mahner“….dem Kopf….dem Herzen…..dem Bauch…..

    Und beim zweiten Lesen kam mir „Es ist was es ist“ von Erich Fried in den Sinn…..

    Und jetzt sag nicht das ist einfach nur die Fortsetzung von Tom Sawyer und Huckleberry Finn…. 😀

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  • Joan Quade

    Eine Freudscher Moment? Das Es hat das Über-Ich zum Schweigen gebracht – oder gar überzeugt? Näh… das wäre wohl eine zu banale Interpretation. Oder zu wenig banal? Ach, wer weiß, was mir mein Unterbewusstsein damit sagen will.

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    • S[Punkt]

      Das Leben ist manchmal vielleicht tatsächlich einfach nur banal? 🙂

      Bleiben wir doch bei deinem sehr faszinierenden Gedankenansatz zum Über-Ich und Es:

      Das Über-Ich schweigt. Gut. Das haben wir auch nicht alle Tage.
      Der Schritt zur (vollkommenen?) Überzeugung ist jedoch noch ein weitaus größerer:

      Was ist, wenn das Über-Ich sich entgegen seiner ihm von uns auferlegten starren Definition für einen kleinen Moment selbst einmal zurückstellen würde (aus reiner Vernunft heraus?), vielleicht im übertragenen Sinne sogar einen „kleinen Tod“ stirbt, um einen anderen Teil loszulösen, ihn freizugeben, ihm Freiraum für die Weiterentwicklung des Gesamtindividuums zu verschaffen?
      Der sinnbildliche Schmetterling darf schließlich auch nur existieren, weil er andere Entwicklungsstadien hinter sich gelassen hat.

      Wer sagt uns außerdem, dass das Verschwinden im Bodenlosen bedeutet, dass es das Ende in seiner vollständigen Unwiederbringlichkeit sein muss? Wo kein Boden ist, erfolgt auch kein Aufprall.
      Etwas tritt lediglich (zeitweise?) in den Hintergrund, bleibt damit trotzdem weiterhin wichtiger Bestandteil einer Gesamtheit (auch über mehrere Entwicklungsstadien hinweg).
      Das Über-Ich ist nicht in dem Moment (mund)tot gemacht worden, als es von der Bildfläche verschwand.
      Und das wusste es.
      Mit Sicherheit.

      Was meinst du dazu?

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      • Joan Quade

        Dass dein Ich sich sehr gut ausdrücken kann. 😉

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      • S[Punkt]

        Danke! 😉

        Aber wäre das denn tatsächlich eine Option oder erscheint es zu unrealistisch, dass das Über-Ich diesen Schritt gehen würde?
        Oder hat das Es womöglich einfach nur die Sicherungsleine zwischen ihnen gekappt?

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      • Es Marinsche kocht

        Ist das Über-Ich nicht einfach etwas statisches? So wie eine Rose genetisch vorgegeben „nur“ eine Rose sein kann / darf?

        Das wäre dann die Variante das das Über-Ich nur Über-Ich kann….so wie das Es nur Es kann….und das es an uns ist immer wieder abzuwägen und den lossprechenden Gaul mit dem gemächlichen Gaul in Einklang zu bringen….wo heraus sich dann das Ich bildet…..und da dieser Prozess nie abgeschlossen ist hat es eine Dynamik….und ist LEBEN….

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      • S[Punkt]

        Das Ich ist der Kompromiss.

        Das Über-Ich und das Es sind etwas mehr oder weniger statisches, weil wir sie per definitionem dazu gemacht haben.
        Wenn sich nun aber eines aus reinen Er- und Abwägungen heraus etwas zurücknimmt….lässt es quasi dem anderen Part den Vortritt.
        Ob es das wirklich kann, oder ob es sich dabei nicht doch wieder selbst (aus seiner rigiden Definition heraus) im Wege steht, sei dahingestellt.
        Ein Gedankenspiel ist es allemal wert.

        Das schöne ist:
        Hinter allem steckt immer noch viel mehr, als wir für den Moment glauben zu wissen. Es muss nur jemand anderes dazu kommen und schon können wieder neue Ideen und Gedanken bereichernd hinzugewonnen werden….auch unabhängig von Abhandlungen bezüglich eines psychischen Apparats.

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      • Es Marinsche kocht

        Das Über-Ich oder Es hat kein eigenes Gehirn……das würde es bedeuten wenn man die allein entscheiden liesse ob sie sich sozial verhalten und mal bittschön zurück treten 😉

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      • S[Punkt]

        Im übertragenen Sinne ist vieles möglich.

        Vielleicht ist auch einfach nur der Protagonist selbst „aus sich herausgetreten“ und nichts anderes sonst.

        [Die Vorstellung von einem Gehirn im Gehirn erscheint mir übrigens sehr reizvoll. 😉 ]

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      • Es Marinsche kocht

        🙂

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      • S[Punkt]

        Ich trete dann mal elegant aus meinem virtuellen Ich heraus….morgen ruft zur Abwechslung mal wieder die Pflicht. 🙂

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      • Es Marinsche kocht

        Tat sie das sonst nicht? 🙂

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      • S[Punkt]

        In den letzten drei Wochen nicht. Deshalb habe ich mich auch so oft hier herumgedrückt und virtuelle Lebkuchenherzen „gebacken“.

        Die Distanz war wichtig für mich. Man musste mich zunächst nur ein ganz klein wenig dazu überreden.

        Ich ahne nur, dass diese geruhsame Zeit innerhalb von 5 Minuten zunichte gemacht werden könnte. Morgen weiß ich mehr.
        Aber vielleicht dreht der Tacho vorerst nicht gleich auf 180…das weiße Kaninchen mit der Uhr….du verstehst? 😉

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      • Es Marinsche kocht

        Dann wünsche ich Dir einen erquicklichen Start in die Woche!

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      • S[Punkt]

        Ich habe es überlebt. Alle anderen auch. 😉

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      • Es Marinsche kocht

        Tönt gut 😉

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      • S[Punkt]

        Denke ich auch. 🙂

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      • Es Marinsche kocht

        Dann kann ja für den Rest der Woche nichts mehr schiefgehen 🙂

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      • S[Punkt]

        Die Woche hat für mich ja ab morgen „nur“ noch 4 Tage.
        Ready to rumble!

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      • Es Marinsche kocht

        Huch

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      • S[Punkt]

        Im Nachhinein betrachtet war ich ganz lieb.
        Es hat zumindest niemand geweint. 🙂

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  • Joan Quade

    In diesem Zusammenhang über Realismus zu sprechen, ist schwierig für mich, aber, um dich zu zitieren: […Was ist, wenn das Über-Ich sich entgegen seiner ihm von uns auferlegten starren Definition für einen kleinen Moment selbst einmal zurückstellen würde (aus reiner Vernunft heraus?), vielleicht im übertragenen Sinne sogar einen „kleinen Tod“ stirbt, um einen anderen Teil loszulösen, ihn freizugeben, ihm Freiraum für die Weiterentwicklung des Gesamtindividuums zu verschaffen?… ] – vorstellbar auf jeden Fall. Außerdem habe ich das Gefühl, dass mein Über-Ich schon lange nicht mehr soviel zu sagen hat und wahrscheinlich, auch einmal zu oft die Sicherheitsleine gekappt hat. Macht das irgendeinen Sinn für dich?

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    • S[Punkt]

      Stimmt, der Begriff „realistisch“ war von mir vielleicht etwas unbeholfen gewählt. Wahrscheinlich meinte ich eher „nachvollziehbar“.

      Läuft dein Über-Ich vor sich selbst davon? 😉

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      • Joan Quade

        Wenn es das könnte, würde es das wohl tun. XD

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      • S[Punkt]

        Sehr schön. Das sollten wir (also wir als Personen) auch alle hin und wieder mal ausprobieren.

        Spätestens morgen weiß ich, ob auch ich am liebsten Gebrauch davon machen möchte…die Arbeit…ich habe sie in den letzten drei Wochen fast gar nicht vermisst. Das ist mir noch nie passiert. Fühlt sich aber auch ganz gut an. 🙂

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  • zu: Metamorphose | NeuesAusDemSenftopf

    […] anregenden Wortwechseln (Vielen Dank an euch beide!)  in der Kommentarfunktion des Beitrags „Metamorphose“ kann jedoch nur ein Schluss gezogen […]

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